Für mehr Chancengerechtigkeit
Die soziale Herkunft von Kindern und Jugendlichen übt auf vielen Wegen Einfluss auf ihren Bildungserfolg aus: Wird zu Hause zum Beispiel nicht vorgelesen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich die betroffenen Schüler*innen mit dem Lesenlernen schwerer tun. Auch kann sich nicht jede Familie Nachhilfestunden leisten oder gar eine Privatschule, wenn man sich eine bestimmte Förderung für sein Kind wünscht. Schulen in herausfordernden Lagen – auch schon mal „Problemviertel“ oder „soziale Brennpunkte“ genannt – fällt es weniger leicht, engagierte Lehrkräfte zu finden und zu halten. Und wenn der Übergang von der Grundschule an die weiterführende Schule ansteht, gehen die Kinder aus den sozial benachteiligten Familien seltener aufs Gymnasium. Das liegt unter anderem daran, dass es ihnen selbst bei ausreichenden Kompetenzen weniger zugetraut wird – von den Lehrkräften und auch den Eltern.
»Die soziale Herkunft von Kindern und Jugendlichen übt auf vielen Wegen Einfluss auf ihren Bildungserfolg aus.«
Man könnte etliche weitere Gründe für diese sozial bedingte Bildungsungleichheit nennen. Im Einzelfall dürfte immer eine Fülle von Faktoren zusammenspielen. Klar ist: Die Abhängigkeit von der Herkunft ist in Deutschland insgesamt viel zu hoch und müsste verringert werden. „Es gilt, allen Kindern durch Bildung bestmögliche Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe mitzugeben“, bringt es Dr. Jan Scharf auf den Punkt. Er ist Koordinator des Metavorhabens „ABIBA“ am DIPF, das die zwölf Projekte begleitet, die genau hierzu forschen werden. Sie alle sind Teil der auf fünf Jahre angelegten Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum „Abbau von Bildungsbarrieren: Lernumwelten, Bildungserfolg und soziale Teilhabe“ im Rahmenprogramm empirische Bildungsforschung. Sieben der in der Regel von mehreren wissenschaftlichen Einrichtungen durchgeführten Projekte haben jetzt ihre Arbeit aufgenommen, die weiteren folgen in diesem Jahr.
Ein umfassender Ansatz
Alle Vorhaben eint das Ziel, Bildungsbarrieren viel genauer zu verstehen sowie geeignete und abgesicherte Konzepte zu entwickeln, um Bildungsbenachteiligungen entgegenzuwirken und Chancengerechtigkeit zu ermöglichen. Dafür nehmen sie einen umfassenden Blickwinkel ein. Sie konzentrieren sich nicht allein auf den Kompetenzerwerb und die Lernorte im institutionellen Kontext, also die Kitas und die Schulen. Die Aufmerksamkeit gilt vielmehr dem gesamten sozialen Lebensumfeld der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und seinen Auswirkungen auf ihre Bildungsverläufe. Angefangen bei der Familie beschäftigen sich die Forschenden zum Beispiel auch mit der Rolle der Kinder- und Jugendhilfe oder des sozialräumlichen Umfelds – etwa unterschieden nach den Bedingungen in der Stadt und auf dem Land. „Im Zusammenspiel all dieser Lern- und Lebensumwelten können Bildungsbarrieren entstehen, die verhindern, dass Kinder ihr Potenzial voll ausschöpfen“, erläutert der Bildungssoziologe Scharf.
Da die Projekte diese Barrieren nicht nur erforschen, sondern auch wissenschaftlich begleitete Veränderungsprozesse anstoßen wollen, wird die Abstimmung mit verschiedenen Bildungsakteurinnen vor Ort großgeschrieben. Dazu gehören neben den Schulen zum Beispiel auch die Sozialarbeit, die kommunale Verwaltung oder das kommunale Bildungsmanagement. Die Vorhaben wollen auf bestehenden Erfahrungen aufbauen und wirksame Ansätze identifizieren oder entwickeln. Das thematische Spektrum ist weit gesteckt: Wie und unter welchen Bedingungen leisten Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe in benachteiligten sozialräumlichen Lagen Beiträge zu erfolgreichen Bildungsprozessen? Lassen sich Bildungsangebote für benachteiligte Jugendliche außerhalb der Schule besser vernetzen? Wie entwickeln Kinder eine möglichst hohe Resilienz, wodurch sie anpassungsfähiger werden und schwierige Umstände besser meistern können? Welche Unterstützungsangebote brauchen junge Erwachsene am Übergang von der Schule in den Beruf? Das sind nur einige Fragen, mit denen sich die Wissenschaftler*innen und ihre Partner*innen aus der Praxis auseinandersetzen.
Schnittstelle nach innen wie nach außen
Angesichts dieser großen Vielfalt erscheint eine Bündelung und Zusammenführung sinnvoll. Und hier kommt das vom DIPF geleitete und gemeinsam mit dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) und der Freien Universität (FU) Berlin durchgeführte Metavorhaben ins Spiel – wie Jan Scharf erklärt: „Wir wollen die Projekte vernetzen und unterstützen. Unser Ziel ist es außerdem, die Erkenntnisse aus dem Förderschwerpunkt in einen weiteren wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmen zu stellen.“ Zum Beispiel erstellt und veröffentlicht das ABIBA-Team Forschungssynthesen, die den derzeitigen Forschungsstand zum Abbau von Bildungsbarrieren zusammenfassen. Diese Synthesen werden im Lauf der Zeit um die Ergebnisse der Projekte ergänzt. So bieten sie einen systematischen und aktuellen Überblick. Daran kann dann etwa die Wissenschaft anknüpfen und weitere Forschungslücken in Angriff nehmen. Zumal ABIBA die Vorhaben der Förderrichtlinie auch fachlich-methodisch zum Management ihrer Forschungsdaten berät – wodurch diese möglichst nachhaltig gesichert und für andere Forschungen bereitgestellt werden können.
»Das Team des Metavorhabens fasst unter anderem den Forschungsstand zum Abbau von Bildungsbarrieren zusammen.«
Mit Blick auf den von der Förderrichtline angestrebten Abbau von Bildungsbarrieren widmet sich das Metavorhaben zudem dem Transfer des erarbeiteten Wissens in die Bildungspraxis, in die Verwaltung, in die Politik und in die interessierte Öffentlichkeit. Gemeinsam mit Praxisakteur*innen sollen innovative Transferformate erarbeitet und erforscht werden. ABIBA unterstützt die Projekte bei der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis, damit die Ergebnisse passgenau ankommen, wo sie einen Unterschied machen können. Nicht zuletzt wird eine eigene Website eine wichtige Rolle für die öffentliche Sichtbarkeit der Förderrichtlinie spielen.
Mit verschiedenen Veranstaltungsformaten will das Metaprojekt außerdem den Austausch der Projekte untereinander – aber auch mit externen Expert*innen – voranbringen. „Wir wollen den Projekten eine Plattform bieten, um sich über Synergien zu verständigen und voneinander zu lernen“, beschreibt es der DIPF-Koordinator. Bei den ersten Treffen – „Meet your Meta“ genannt – haben sich die Vertreter*innen des Meta-Vorhabens und der bereits gestarteten Forschungsprojekte online bereits kennengelernt. Neben Beratung und Workshops zu Forschungsdatenmanagement sowie Zusammenarbeit und Transfer sind weitere Angebote geplant, je nach Interesse und Bedarfen der Projekte. Auch an die wissenschaftliche Nachwuchsförderung ist gedacht, zum Beispiel durch Treffen aller Promovierenden und ihrer Betreuer*innen.
Blick nach vorne
ABIBA hat also eine Menge vor und vereinigt dabei reichlich Fachwissen der drei Verbundpartner. Das DIPF und das DJI bringen sich beispielsweise mit unterschiedlichen Expertisen in die Forschungssynthesen und das Forschungsdatenmanagement ein, die FU legt ein besonderes Augenmerk auf Zusammenarbeit und Transfer. Am DIPF besteht zudem viel Erfahrung darin, Forschungsverbünde zu koordinieren und mit unterstützenden Leistungen zu begleiten. Jan Scharf freut sich auf jeden Fall darauf, dass es nun richtig losgeht, und gibt noch einen persönlichen Ausblick. „Wir wollen dazu beitragen, dass alle Projektbeteiligten mehr miteinander sprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen, um Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in sozial schwieriger Lage zu einer besseren Bildung zu verhelfen.“
Hier finden Sie weitere Informationen über das vom DIPF koordinierte Metaprojekt „ABIBA | Meta – Abbau von Bildungsbarrieren: Lernumwelten, Bildungserfolg und soziale Teilhabe“. Prof. Dr. Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des DIPF und Direktor der DIPF-Abteilung „Struktur und Steuerung des Bildungswesens“ leitet das Verbundprojekt. Außerdem ist mit dem Informationszentrum Bildung unter Leitung seines Direktors Prof. Dr. Marc Rittberger eine weitere Abteilung des DIPF beteiligt. Sie bringt sich insbesondere in alle Aufgaben rund um das Forschungsdatenmanagement ein.
Hier finden Sie weitere Informationen über die BMBF-Förderrichtlinie „Abbau von Bildungsbarrieren: Lernumwelten, Bildungserfolg und soziale Teilhabe“ im Rahmenprogramm empirische Bildungsforschung.