Das Ziel sind positive Erlebnisse beim Umgang mit Technik

Das Ziel sind positive Erlebnisse beim Umgang mit Technik
@Vlada Karpovich
02.05.2022 Interview
Wer sich mit einem neuen Gerät im Alltag vertraut machen möchte, kann die Bedienungsanleitung lesen oder es einfach ausprobieren. Beides ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Was funktioniert unter welchen Bedingungen am besten und wie kann man den Zugang zu Technik didaktisch verbessern? Diesen Fragen geht ein Projekt des DIPF und der Pädagogischen Hochschule Freiburg auf den Grund. Im Interview erläutert Dr. Carolin Hahnel, Mitglied des Leitungsteams von „TPL-basics“, das Vorhaben.

dipf.de: Von welchem Ausgangspunkt kommt Ihr bei Eurem Projekt?

Carolin Hahnel: Technik ist für die meisten Menschen mittlerweile ein zentraler Bestandteil im Alltag. Sie lassen sich zum Beispiel morgens von einem Radiowecker wecken, bereiten sich einen Kaffee mit dem Vollautomaten zu oder schalten nach dem Essen fix den Geschirrspüler an. Spannend ist dabei, dass solche technischen Geräte durch Fortschritte in der Mikroelektronik zunehmend digitaler werden. Das beeinflusst unter anderem die Interaktion zwischen Mensch und Technik. Eines meiner Lieblingsbeispiele sind hier Heizungsthermostate. Die klassischen Thermostate sind mechanische Drehregler, die den Durchlauf von Heizwasser regulieren. Es gibt mittlerweile aber auch Thermostate mit digitalen Displays und Druckknöpfen, die dann zum Beispiel "Menü", "OK" oder "On/Off" heißen. Die Bedienung solcher Thermostate erfordert ein anderes Verständnis darüber, wie ich dem Gerät „mitteile“, was ich möchte. Digitalisierte Technik bringt häufig auch neue oder erweiterte Funktionen mit sich. Unser Heizungsthermostat könnte beispielsweise „smart“ sein und uns erlauben, verschiedene Temperaturen für Tag und Nacht oder verschiedene Wochentage einzustellen und zu speichern. In unserem Projekt widmen wir uns Fragen darüber, wie Menschen eigentlich die Bedienung von digitalisierten technischen Alltagsgeräten erlernen und ob bestimmte Lernformen für manche Menschen besser funktionieren als für andere.

Befasst Ihr Euch dabei näher mit Bedienungsanleitungen, die ja zum Ziel haben, dass Anwender*innen den Umgang mit den Geräten erlernen?

Ja, Bedienungsanleitungen, oder etwas abstrakter das Lernen mit schriftlichen Instruktionen, sind ein wichtiger Aspekt unserer Forschung. Normalerweise liegen solche Anleitungen technischen Geräten ja auch immer bei und, wie du schon gesagt hast, ist es ihr ausgewiesenes Ziel, Personen mit der Gerätenutzung vertraut zu machen. Das heißt aber noch lange nicht, dass Anwender*innen sie tatsächlich immer nutzen. Häufig probieren Personen technische Geräte einfach intuitiv aus, zum Beispiel weil sie bereits ähnliche Geräte kennen oder vertraute Symbole sehen, wie den Kreis mit dem senkrechten Strich zur Kennzeichnung des Power-Schalters. Dieses Lernen durch Erkunden oder Entdecken schauen wir uns im Projekt ebenfalls genauer an. Wir sind dabei an dem Zusammenspiel der beiden Lernmöglichkeiten und eventuellen Präferenzen in verschiedenen Situationen interessiert. Ich selbst schlage zum Beispiel tatsächlich immer wieder in der Bedienungsanleitung meiner Waschmaschine nach, wenn ich ein spezielles Programm nicht gut kenne oder zumindest lange nicht mehr genutzt habe. Bei einem Pkw-Navi würde ich mich dagegen so lange durchklicken, bis ich finde, wonach ich suche, auch wenn das Handbuch direkt vor meiner Nase im Handschuhfach liegt. Wahrscheinlich haben auch die Komplexität oder die Intransparenz eines technischen Gerätes einen Einfluss darauf, ob es eher ausprobiert oder eine Bedienungsanleitung gelesen wird.

Der Umgang mit den neuen Geräten und ihren Anleitungen dürfte aber wahrscheinlich nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg sein, oder? Kommt es nicht auch auf die einzelnen Personen und Ihre Fähigkeiten an?

Individuelle Merkmale haben definitiv einen Anteil daran, wie wir mit Technik umgehen. Aus der bisherigen Forschung wissen wir zum Beispiel, dass für einen erfolgreichen Umgang mit Technik Faktoren wie das Alter, motivationale Merkmale wie Technikängstlichkeit oder auch die Intelligenz eine Rolle spielen. Wir hoffen aber durch unser Projekt das "Wie" und "Warum" näher beleuchten zu können. Beispielsweise ist bekannt, dass technikängstliche Personen weniger erfolgreich bei der Handhabung eines technischen Geräts sind als Personen ohne solche Ängste. Wir vermuten, dass das daran liegen könnte, dass die technikängstlichen Personen die Auseinandersetzung mit Geräten möglichst vermeiden, was dazu führen könnte, dass diese Personen sie weniger intensiv explorieren. Es könnte aber auch durchaus sein, dass solche Nutzer*innen eher zur Bedienungsanleitung greifen und dadurch Defizite in ihrem Bedienungswissen kompensieren können.

Und im Ergebnis wollt Ihr dann herausfinden, wie all diese Aspekte im Zusammenspiel funktionieren und worauf es jeweils und wechselseitig ankommt?

Genau! Zusammengefasst verfolgen wir zwei große Forschungsschwerpunkte. Einerseits untersuchen wir, wie Personen fehlendes Bedienungswissen erwerben. Das schließt für uns Beobachtungen darüber ein, welche Formen des Lernens bevorzugt oder miteinander kombiniert werden und unter welchen individuellen und situativen Bedingungen Personen auf eine bestimmte Lernmethode zurückgreifen. Andererseits spinnen wir diesen Faden fort und erforschen, inwiefern solche individuellen und situativen Bedingungen und die verschiedenen Lernformen einen erfolgreichen Umgang mit technischen Alltagsgeräten begünstigen oder vielleicht auch behindern können.

Wie geht Ihr in Eurem Projekt vor, wie müssen wir uns dieses Erproben des Umgangs mit Alltagsgeräten vorstellen?

Leider können wir keine echten technischen Geräte verwenden, aber mit dem Computer können wir der Realität zumindest nahekommen. Wir haben verschiedene Geräte und ihre typischen Funktionen am Rechner simuliert. Dazu gehört zum Beispiel ein Kaffeevollautomat. Mit der Maus kann man diesen einschalten, die Schieberegler zur Regulierung der Kaffee- und Wassermenge einstellen und per "Drag and Drop" Dinge wie Tassen und eine Wasserkaraffe bewegen. Wir erfassen den Umgang mit Alltagsgeräten, indem wir Personen zunächst bitten, das simulierte Gerät kennenzulernen. Sie können es dazu explorieren oder eine digitale Bedienungsanleitung nutzen, die wir in Anlehnung an die entsprechende DIN-Norm erstellt haben. Nach spätestens zehn Minuten bitten wir sie dann, einige Aufgaben zu bearbeiten, die eine gezielte Gerätesteuerung erfordern. Beim Kaffeevollautomaten sollen zum Beispiel zwei Tassen Kaffee mittlerer Stärke und ein starker Kaffee zubereitet werden. Durch die Computersimulationen haben wir den Vorteil, dass wir Mausklicks aufzeichnen können. Das heißt, wir können dann nicht nur nachvollziehen, ob eine Aufgabe gelöst wurde, sondern auch, wie sie bearbeitet wurde und was genau Personen machen, wenn sie das Gerät kennenlernen sollen.

In welcher Abfolge schaut Ihr Euch diese Fragen an?

Wir haben insgesamt zwei Studien geplant. In unserer ersten Studie erproben wir die Gerätesimulationen, die wir entwickelt haben und überprüfen, ob alles so funktioniert, wie wir es uns vorstellen, oder ob wir bei den Geräten und ihren Aufgaben nachbessern müssen. Durch diese Studie werden wir außerdem einen ersten Eindruck bekommen, wie Personen den Umgang mit einem Gerät erlernen und ob sie dabei Präferenzen für ein Explorieren, das Nutzen einer Bedienungsanleitung, beides oder vielleicht sogar keines von beidem zeigen. In unserer zweiten Studie setzen wir dann die Simulationen und Aufgaben ein, die besonders gut funktioniert haben, und werden auch andere Merkmale und Fähigkeiten wie Lesefähigkeiten, Intelligenz oder technikbezogene Einstellungen erfassen. Vor allem mit diesen Daten können wir dann den Erwerb und die Anwendung von Bedienungswissen im Zusammenspiel mit individuellen und situativen Bedingungen untersuchen.

Zum Abschluss noch die Frage, was Ihr mit den Ergebnissen erreichen wollt? Wie können sie in Zukunft dazu beitragen, dass das Erlernen von Alltagstechnik besser funktioniert?

Wir hoffen, dass unsere Projektergebnisse zur Förderung technischer Allgemeinbildung beitragen. Bei der rasanten Entwicklung von neuen technischen Produkten ist es ja nicht sinnvoll, dass man Personen die Bedienung von Einzelgeräten beibringt. Vielmehr sollten Bedingungen geschaffen werden, die sie bei einer effektiven und selbstständigen Aneignung von Bedienungswissen unterstützen, damit sie mit technischen Geräten im Alltag planvoll und zielgerichtet umgehen können. In diesem Sinne sind unsere Ergebnisse zum Beispiel für die Technikdidaktik interessant, die darauf aufbauend Fördermaßnahmen für den allgemeinbildenden Technikunterricht ableiten kann. Dort geht es vor allem dann um die evidenzbasierte Gestaltung von differenziertem Technikunterricht, der das Ziel verfolgt, Überforderungen von Schüler*innen zu vermeiden, positive Erlebnisse im Umgang mit Technik zu schaffen und so langfristig das Interesse an Technik zu stärken.

Vielen Dank!

 

Dr. Carolin Hahnel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für technologiebasiertes Assessment am DIPF. Zu Ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Erforschung von Leseprozessen und unter welchen Bedingungen Lesen zu einem Informationsgewinn führt sowie das Lernen mit digitalen und interaktiven Technologien.

Weitere Informationen zum von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten und gemeinsam mit Prof. Dr. Jennifer Stemmann von der Pädagogischen Hochschule Freiburg geleiteten Projekt „Bedingungen des Erwerbs von Handlungswissen zum Lösen technischer Probleme (TPL-basics)“