Organisationsentwicklung für mehr digitale Bildung im Fokus der Forschung

Organisationsentwicklung für mehr digitale Bildung im Fokus der Forschung
@David – stock.adobe.com
26.01.2022 Interview
Wer Konzepte zur digitalen Bildung umsetzen möchte, muss auch die Organisationen als Ganzes weiter entwickeln, muss also Arbeitsprozesse neu planen, die in der jeweiligen Einrichtung vorhandenen Strukturen überdenken und bei allen Beteiligten für die Bereitschaft und das nötige Know-how sorgen. Der Wandel ist In den Bildungseinrichtungen bereits in vollem Gange, was nicht zuletzt auch die Bildungsforschung beobachtet und begleitet. Die DIPF-Forscherin Dr. Annika Wilmers hat jetzt zusammen mit Michaela Achenbach und Carolin Keller einen Reviewband zur Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen herausgegeben. Im DIPFblog berichtet sie über die neue Veröffentlichung.

dipf.de: Zunächst einmal: Forschungssynthesen und Reviews sind ja eine recht neue Entwicklung im sozialwissenschaftlichen Bereich. Was hat es mit diesem Format auf sich?

Annika Wilmers: Ursprünglich entwickelte sich das Verfahren der Reviews in der Medizin und fand dann etwas zeitversetzt auch in den Sozialwissenschaften und damit auch in der Bildungsforschung Anwendung. Ziel der Arbeiten ist es, den Stand der Forschung zu einer bestimmten Fragestellung zu recherchieren, auszuwerten und darzustellen. Darüber hinaus können Forschungslücken aufgezeigt werden und gegebenenfalls Implikationen für die Bildungspraxis oder Bildungspolitik hergeleitet werden. Gerade der letzte Punkt hängt auch stark davon ab, ob ein Review in erster Linie für die Wissenschaft verfasst wurde oder eine eher policy-orientierte Ausrichtung hat – beispielsweise als Auftragsarbeit aus der Bildungspolitik. Für unser Projekt haben wir die Form eines Critical Reviews gewählt. Wir haben die aktuelle deutsch- und englischsprachige Literatur im Feld umfangreich und systematisch recherchiert und anschließend Ergebnisse aus den Befunden miteinander in Verbindung gesetzt, um den aktuellen Stand der Forschung zu beschreiben.

Das Thema des gerade erschienenen Bandes ist die Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen, und zwar mit Blick auf die Digitalisierung. Können Sie das etwas näher erläutern?

Organisationsentwicklung in der digitalen Welt beinhaltet viele Facetten, die sich ergänzen, ineinander greifen und den Gesamtprozess prägen. Hierzu zählen zum Beispiel Strategieentwicklung, Management und Kompetenzförderung oder Fragen nach der technischen Infrastruktur und nach Kooperationen mit anderen Einrichtungen. Ein ganz aktuelles Beispiel: Die Covid-19-Pandemie hat den Blick zunächst vor allem auf die technischen Defizite in Bildungsorganisationen und auf die fehlenden Kompetenzen bei vielen Lehrkräften gelenkt. Innovative und nachhaltige Entwicklungsprozesse gehen aber über diese Ebene der Infrastruktur- und Anwendungsfragen hinaus. Es geht nicht um eine einmalige Anpassung an digitale Strukturen, vielmehr sehen sich Bildungseinrichtungen einem dauerhaften, tiefgreifenden und ergebnisoffenen Transformationsprozess ausgesetzt. Tiefgreifend, da Veränderungen nicht nur einzelne Maßnahmen, sondern das gesamte Management von Bildungsorganisationen betreffen, und ergebnisoffen allein schon deshalb, weil digitale Technologien und unser Verständnis davon sich permanent weiterentwickeln. Lösungswege und Organisationsstrukturen müssen deshalb so konzipiert sein, dass sie sich an spätere Entwicklungen anpassen lassen.

In Ihrem Band untersuchen Sie, wie die Bildungsforschung diesen Prozess der Transformation erfasst. Welche Tendenzen macht denn die Forschung aus, was sind die wichtigsten Befunde?

Das sind natürlich einige. Zunächst: Organisationsentwicklung in der digitalen Welt ist ein Gemeinschaftsprojekt, wie zahlreiche der von uns analysierten Studien zeigen. Das bedeutet, dass idealerweise ein Team aus Mitarbeitenden einer Institution die Strategien und Maßnahmen umsetzt. Das ist eine zentrale Basis für den Erfolg. Zu diesem Team sollten zum Beispiel die Leitung und Vertreter*innen der Administration, Medienbeauftrage, Datenschutzbeauftragte, pädagogische Fachkräfte und Zuständige für technische Fragen gehören. Außerdem gewinnen Kooperationen zwischen Organisationen an Bedeutung, wie in unserem Band beispielsweise die Kapitel zur Berufsbildung und Erwachsenenbildung nachzeichnen. Im Bereich der Weiterbildung können Kooperationen dazu führen, Angebote auf zentralen digitalen Plattformen zu bündeln und somit erfolgreicher zu bewerben.

Auch die jeweiligen Organisationskulturen sind sehr wichtig. Hierzu zählt zum Beispiel, inwiefern die Digitalisierung auf der Leitungsebene einer Bildungsorganisation als umfassende Daueraufgabe verstanden wird und ob dies mit einem Managementverständnis einhergeht, das eine Verteilung von Verantwortlichkeiten zulässt.

Welche Fragen muss die Forschung aus Ihrer Sicht noch in den Blick nehmen?

Über die Bildungssektoren hinweg lässt sich feststellen, dass sich die Forschung mit einer großen Bandbreite von Themen befasst. Dabei geht es um die unterschiedlichsten Bereiche der Organisationsentwicklung in der digitalen Welt. Häufig fehlt es aber noch an einer entsprechenden Modellentwicklung, die explizit auf Digitalisierung Bezug nimmt. Es bedarf zudem mehr Studien, um die Erkenntnisse mit einer breiteren Datenbasis abzusichern. Auch die Frage, wie vielversprechende Ansätze erfolgreich in der Praxis implementiert werden können, ist in der Forschung noch längst nicht geklärt.

Die Covid-19-Pandemie hat der Digitalisierung im Bildungsbereich einen enormen Schub verpasst. Wie spiegelt sich das in der Forschung wider?

Die Pandemie hat zahlreiche neue Forschungsprojekte angestoßen, allerdings auch bei vielen laufenden Projekten für Schwierigkeiten gesorgt. Datenerhebungen konnten zum Beispiel nicht mehr durchgeführt werden. Durch Corona wurde die Digitalisierung in der Bildung auf einen Schlag zu einem zentralen Thema in der Öffentlichkeit. Die Notwendigkeit, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren, hat unserem Eindruck nach dazu geführt, dass einige Forschungsarbeiten zu diesem Thema schneller veröffentlicht wurden, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Zeigt sich eine solche Entwicklung in der Arbeit von Reviewteams? Als Sie die Review-Bände zur Digitalisierung geplant hatten, war ja mit der Corona-Krise und mit der neuen Debatte über die Digitalisierung noch gar nicht zu rechnen.

Das stimmt. Reviewteams stellt eine solche Dynamik vor besondere Herausforderungen. Wenn sie eine Fragestellung bearbeiten, während sich zugleich eine heftige gesellschaftliche Debatte zu eben diesem Thema ereignet, dann bekommt man schnell das Gefühl, dass die Recherche und die Auswertung von Studien eigentlich nie ganz abgeschlossen werden kann. Klassische Instrumente in Reviewverfahren wie Datenbanken hinken den aktuellen Entwicklungen zwangsläufig etwas hinterher, allein schon deshalb, weil es immer eine gewisse Zeit dauert, bis neue Daten ins System eingespeist werden. Gleichwohl können Reviews in diesem Kontext die Forschungslage zu einem bestimmten Zeitpunkt beleuchten und damit der späteren Forschung als weitere Grundlage dienen.

 

Portrait Annika WilmersIn dem Reviewband „Bildung im digitalen Wandel: Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen“ wurde der Forschungsstand mit Blick auf die verschiedenen Bildungsbereiche von der frühkindlichen bis zur Erwachsenenbildung zusammengetragen. Entsprechend vielfältig sind die Themen: Es geht um den Stand der Digitalisierung in außerschulischen Bildungseinrichtungen, um die Rolle von Schulleitungen in Schulentwicklungsprozessen, um die Rahmenbedingungen für den Erwerb von Medienkompetenzen im Lehramtsstudium, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf Management und Organisation in der Erwachsenenbildung und um Kooperationen zwischen verschiedenen Organisationen in der beruflichen Bildung.

Das Forschungsprojekt am DIPF

Gemeinsame Projektseite des Metavorhabens Digi-EBF