Die Evaluierung der Reform des Lehramtsvorbereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen unter der Leitung von Mareike Kunter bringt diverse Entwicklungen und Herausforderungen mit sich. Auch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie bekommt das Projekt zu spüren.
In der ersten Projektphase von 2011 bis 2016 stand die Frage im Mittelpunkt, ob die Verkürzung des Lehramtsvorbereitungsdienstes negative Auswirkungen auf die Entwicklung angehender Lehrkräfte hat. Die Hoffnung war, dass ein neues Ausbildungskonzept die verkürzte Zeit sinnvoll kompensieren könnte. Denn statt nur in der Schule zu lernen, werden Lehramtsanwärter*innen auch in speziellen Ausbildungszentren, den „Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung“ (ZfsL), geschult. Dort werden sie nicht nur fachlich unterstützt, sondern auch in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung gefördert. Sie erhalten beispielsweise ein individuelles Coaching, arbeiten in selbstgesteuerten Lerngruppen, setzen sich individuelle Ziele und dokumentieren ihren Fortschritt in Portfolios.
Die erste Kohorte angehender Lehrkräfte, die untersucht wurde, durchlief bereits den verkürzten Dienst, jedoch ohne das neu eingeführte Praxissemester. Daher sollte die zweite Phase des Projekts, die von 2018 bis 2022 lief, die veränderte Ausgangsbedingung sowie die langfristigen Folgen der Reform näher beleuchten.
Doch die COVID-19-Pandemie machte unserem Projektteam einen Strich durch die Rechnung. Die Pandemie veränderte das Leben aller drastisch und brachte neue Fragestellungen mit sich. Gleichzeitig war es aufgrund der Einschränkungen schwierig, die Auswirkungen auf die angehenden Lehrkräfte mit denen der vorherigen Kohorten zu vergleichen – das ist in unserem Forschungsalltag aber ein ganz zentrales Kriterium. Daher entschied sich das Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen, eine dritte Phase des Projekts (2023 – 2025) zu starten, um die Auswirkungen der Reform unter normalen Bedingungen und langfristig bewerten zu können.
- Projektphase 1 (2011 – 2016): Kombination der Evaluation mit dem Forschungsprogramm BilWiss (Goethe-Universität Frankfurt)
- Projektphase 2 (2018 – 2022): Evaluation des reformierten Vorbereitungsdienstes im Land NRW (Goethe-Universität Frankfurt)
- Projektphase 3 (2023 – 2025): Evaluation des Vorbereitungsdienstes im Land NRW (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation)
Was sind gut ausgebildete Lehrkräfte?
Über alle Projektphasen hinweg stand der Wunsch, den Vorbereitungsdienst so zu optimieren, dass gut ausgebildete Lehrkräfte in den Schuldienst starten können.
»Die zentrale Frage: Welche Ausbildungselemente wirken sich günstig auf eine positive Entwicklung der angehenden Lehrkräfte aus und welche sind eher hinderlich? Und natürlich auch: Was kann verbessert werden?«
Aber was macht eine gut ausgebildete Lehrkraft aus? Wir verstehen unter professioneller Kompetenz die persönlichen Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Bewältigung der berufsspezifischen Aufgaben nötig sind. Damit sind spezielle Merkmale gemeint, die veränderlich sind und im Verlaufe der Ausbildung aufgebaut werden, zum Beispiel durch Erfahrungen im Unterricht, aber auch durch die erfolgreiche Nutzung der im Vorbereitungsdienst angebotenen Ausbildungselemente (Lerngelegenheiten). Für Lehrkräfte werden häufig die Aspekte Wissen, Überzeugungen, Motivation und selbstregulative Fähigkeiten unterschieden.
Messung und Reflexion der beruflichen Entwicklung von Lehrkräften
Für alle Aspekte professioneller Kompetenz haben sich Fragebögen etabliert, die die Konstrukte messbar und vergleichbar machen. Das gilt auch für das berufliche Verhalten, wie etwa das Unterrichten. Wir fragen die angehenden Lehrkräfte aber auch, wie es ihnen geht: Wie fühlen sie sich während des Vorbereitungsdienstes? Welche Ausbildungselemente haben ihnen geholfen, die Anforderungen zu bewältigen, und welche nicht? Was fanden sie besonders hilfreich, und welche Bereiche sollten verbessert werden?
In der aktuellen Projektphase haben wir zu diesem Zweck im Mai 2023 über 600 angehende Lehrkräfte direkt in den ersten Wochen ihres Vorbereitungsdientes in verschiedenen Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung besucht und befragt. Auch ihre Ausbildenden sollten zu Wort kommen und ihre Perspektive erläutern. Viele von ihnen nahmen an unseren Online-Befragungen teil.
Die Realität der Ausbildung aus der Perspektive der Lehrkräfte
Danach haben wir das Gespräch mit den angehenden Lehrkräften sowie deren Ausbildenden an ZfsL und Schulen gesucht. In fünf Gruppendiskussionen haben wir uns mit je sechs bis acht Personen getroffen und unseren Fragebogen sowie die Ergebnisse diskutiert. Wie sind wir vorgegangen, welche Ergebnisse habe sich aus der ersten Befragung ergeben? Wir wollten wissen, was die Betroffenen dazu sagen. Haben wir vielleicht etwas Wichtiges nicht bedacht?
Ein zentraler Schritt des Projekts war außerdem, die Ausbildungssituation vor Ort genau zu betrachten. Manche Erfahrungen ließen sich nicht durch Fragebögen erfassen, sondern wurden erst in persönlichen Gesprächen deutlich. In diesen Gesprächen fragten wir die angehenden Lehrkräfte auch, wie sie sich den idealen Vorbereitungsdienst vorstellen. In Zukunftswerkstätten arbeiteten wir gemeinsam an positiven Visionen für die Lehramtsausbildung.
Zukunftswerkstatt mit angehenden Lehrkräften: Welche Veränderungen wünschen sie sich?
Am Ende ihres Vorbereitungsdienstes, im September und Oktober 2024, haben wir die angehenden Lehrkräfte erneut befragt. Diesmal mit einem Fragebogen, der ihre Erfahrungen aus dem Vorbereitungsdienst erfasst und auch die Themen aufgreift, die in den Fokusgruppen und während des Projektverlaufs wichtig wurden.
Die gesammelten Daten werden anschließend ausgewertet und in den größeren Kontext der Lehrkräfteforschung eingeordnet. Unser Projekt ist Teil einer breiteren Forschungslandschaft und muss im Zusammenhang mit anderen Studien zum Beruf der Lehrkraft verstanden werden. Daher stellen wir unsere Datensätze auch anderen Forschenden zur weiteren Nutzung zur Verfügung.
Der Vorbereitungsdienst im öffentlichen Fokus – neue Fragestellungen während des Projekts
Der Vorbereitungsdienst ist nicht nur ein Thema für Bildungswissenschaftler*innen, sondern wird auch immer wieder in der Öffentlichkeit und in den Medien diskutiert – oft nicht in positiver Weise. Auch gesamtgesellschaftliche Themen wie die Digitalisierung und der Lehrkräftemangel beeinflussen die Diskussion. Im Verlauf des Projekts haben sich deshalb immer wieder neue Fragestellungen ergeben, während andere an Bedeutung verloren haben. In der aktuellen Projektphase liegt der Fokus stärker auf dem beruflichen Wohlbefinden und den Belastungen, die angehende Lehrkräfte in dieser wichtigen Berufsphase erleben.